Detmar Huchting

Bei seinen Besprechungen der ersten beiden Doppel-CDs dieser geplanten Gesamtaufnahme attestierte Peter Cossé Christoph Ullrich Geschmeidigkeit und Energie und benennt damit zwei Eigenschaften, die einander für eine geglückte Wiedergabe von Domenico Scarlattis vielgestaltigen Klavierminiaturen bestens ergänzen; ich kann mich folglich seiner positiven Würdigung unbedingt anschließen. Bei Suche nach der Individualität eines jeden Stückes verliert Ullrich nie den ganzen Kosmos aus dem Blick und verwirklicht einen durchaus persönlichen Scarlatti-Stil, ohne dabei in einen lexikalisch anmutenden Rezitationston zu verfallen, der mir beim Wiederhören eines Teils der entsprechenden Sonaten bei der 1988 erschienenen Gesamteinspielung von Scott Ross gelegentlich negativ auffiel.

Meine erste Begegnung mit Domenico Scarlattis Cembalosonaten fand in den 1960er Jahren mit einer Mono-LP statt, die George Malcom 1958 für Decca auf seinem Goff-Cembalo von 1952 eingespielt hatte, das ihm mit vielen Registern eine ungemein farbige und temperamentvolle Interpretation dieser Stücke ermöglichte: Jedes von ihnen wurde von dem englischen Pionier des Cembalospiels zu einem eigenständigen musikalischen Kosmos gestaltet. Weder das Instrument noch Malcolms Spielweise kann heutigen Forderungen der historisch informierten Spielweise standhalten, doch die Aufnahme hat für mich ihren Zauber aus Kindheitstagen behalten.

Christoph Ullrich legt hier mit 30 Sonaten auf zwei CDs den dritten Teil seiner geplanten Gesamtausgabe des 555 Stücke umfassenden monumentalen Sonatenœuvres von Domenico Scarlatti vor. Im Hinblick auf die vollendete Integrale, sie folgt dem chronologisch geordneten Kirckpatrick-Verzeichnis, trägt diese Doppel-CD schon jetzt die Bezeichnung „Volume 14“.

Bei seinen Besprechungen der ersten beiden Doppel-CDs dieser geplanten Gesamtaufnahme attestierte Peter Cossé Christoph Ullrich Geschmeidigkeit und Energie und benennt damit zwei Eigenschaften, die einander für eine geglückte Wiedergabe von Domenico Scarlattis vielgestaltigen Klavierminiaturen bestens ergänzen; ich kann mich folglich seiner positiven Würdigung unbedingt anschließen. Bei Suche nach der Individualität eines jeden Stückes verliert Ullrich nie den ganzen Kosmos aus dem Blick und verwirklicht einen durchaus persönlichen Scarlatti-Stil, ohne dabei in einen lexikalisch anmutenden Rezitationston zu verfallen, der mir beim Wiederhören eines Teils der entsprechenden Sonaten bei der 1988 erschienenen Gesamteinspielung von Scott Ross gelegentlich negativ auffiel.

Ullrich vermeidet Temperamentsausbrüche, mit dem George Malcolm seinerzeit einigen Sonaten iberisches Kolorit gab. Malcolms Ansatz verfolgt auch Bertrand Cuiller in der Sonate K. 475. Pierre Hantaï würzt die Sonate K. 468 mit gekonntem jeu inégal, wo Ullrich mit pianistischen Mitteln (die dem Cembalo freilich versagt sind) bis hin zum jeu perlé die delikate Textur des Stückes ausleuchtet. Peter Cossé ist zuzustimmen, dass er sich dabei oft auf „neutralem Boden“ bewegt und sich „selten in die emotionalen Karten sehen lässt“, das mindert allerdings keinesfalls die innere Spannung, Souveränität und Differenziertheit dieser Scarlatti-Deutung. Als positives Moment kommt hinzu, dass Christoph Ullrich sich ganz bewusst entschlossen hat, auf keine Wiederholung innerhalb der Sonaten zu verzichten, was besonders einigen langsamen Stücken zu beträchtlicher Länge verhilft, in der alles zum Klingen kommen kann, was in ihnen steckt. So zu hören am Andante e cantabile in f-Moll K. 481: Unter den Händen von Horowitz und Tharaud erklingt ein melancholisch angehauchtes Moment musical, bei Tharaud kommt noch ein besonderer Bezug des Pianisten zur Tradition der französischen Clavecinisten hinzu, der schon seinen Rameau-Einspielungen einen besonderen Zauber verliehen hat – Ullrich gibt dem Stück in 7 ½ Minuten Zeit sich zu entfalten, und aus fast sperrig klingenden Anfangstakten entwickelt sich eine Atmosphäre meditativer Ruhe, die in den Vergleichsaufnahmen nicht aufkommen will, schon gar nicht in Wanda Landowskas eleganter Cembaloversion von 1934 (die auch unter dem für heutige Cembaloliebhaber schwer erträglichen Klang ihres Pleyel-Cembalos mit gusseisernem statt wie bei heutigen historischen Cembali hölzernen Rahmens leidet). Aline Zylberajch gelingt auf ihrer modernen Kopie eines Cristofori-Hammerflügels von 1730 eine ähnlich zaubrische Interpretation wie Ullrich, die leider nach vier Minuten schon wieder vorbei ist.

Für seine Weiterreise durch den Sonatenkosmos Domenico Scarlattis zeigt sich Christoph Ullrich gut gerüstet: Er begegnet den Stücken persönlich, ohne sich als Interpret in den Vordergrund zu spielen. Da zu hoffen ist, dass er seine Rolle als diskreter Sachwalter seines Vorhabens auch weiterhin meisterlich spielen wird, kann man diese neue Folge genießen und sich schon einmal auf die nächste freuen.

Vergleichseinspielungen – Klavier: Wladimir Horowitz (Sony Originals 88697806402, AD: 1964), Alexandre Tharaud (Warner/Erato 5099964201627, AD: 2010) Cembalo: Scott Ross (Erato 2564629945), Pierre Hantaï (Mir 273 AD: 2005), Bertrand Cuiller (Alpha alp 165, AD: 2009) Fortepiano: Aline Zylberajch (AMY 002, als Download erhältlich)

Detmar Huchting [04.05.2015